Einmal ein Diaspora-Kind, immer dazwischen
Ich war ein Migroskind.
Selbst nach all der Zeit kann ich mich noch an den Geruch frischer Croissants erinnern, die wir samstagmorgens genossen.
Ich frage mich – was hat meine Aufmerksamkeit erregt? War es die friedliche Stille, das Zwitschern der Vögel, die Kinder, die im Park herumrennen, oder vielleicht die Gruppe von Menschen, die Tischtennis spielt? Ich springe auf und gehe zur Schaukel, schwinge vor und zurück, verliere mich in einem Tagtraum.
Es wird spät, also gehen wir nach Hause.

Mama bereitete ein leckeres Abendessen vor, während Papa meiner Schwester und mir bei den Hausaufgaben half. Der Duft von Essen erfüllte das Haus, während ich meinen Rucksack packte, bereit für den Kindergarten am nächsten Tag. Der Morgen kam und ich sah meine Freund*innen und meine Lehrerinnen. Es war ein sonniger Tag und wir frühstückten draußen. Unsere Lehrerinnen zeigten uns, wie man Karotten in Krokodilformen schnitzt. Es war lustig, einige Kinder fingen an, sich wie Krokodile zu benehmen und die anderen wie Hasen – ich konnte nicht aufhören zu lachen.
Es war Zeit zu spielen, also konnten wir jede Aktivität auswählen, die wir wollten. Meine Favoriten waren das Hammerschlagen und das Spielen im Sandkasten. Wir streiften umher, erfüllt von Begeisterung und Neugier, und jeder Moment brachte etwas Neues zu entdecken. Unsere kleinen Köpfe waren voller großer Träume über die Zukunft.

Kleine ich spielt mit Puppen im Kindergarten, August 2003, St. Gallen
Endlich war es Zeit für Geschichten. Man konnte die Aufregung in unseren Gesichtern sehen, als wir aufmerksam zuhörten und jeden Moment genossen. Wir entdeckten neue Wörter und lernten faszinierende Charaktere kennen, über die wir anschließend eifrig diskutierten.
Um den Tag abzurunden, sangen wir – meist a cappella.
Und so, bis morgen wieder.
Aber diesmal war morgen anders als jeder andere.
Ich erinnere mich nicht an viel, aber wir packten all unsere Sachen zusammen. Wir räumten die Wohnung auf und gaben die Möbel weg. Ja, wir verließen die Schweiz und begannen ein neues Leben im Kosovë. Aber damals verstand ich nicht, was los war. Gehen wir auf eine lange Reise? Kommen wir zurück? Warum fühlt sich das wie ein Abschied an?
Die letzte Nacht in der Stadt war ein bittersüßer Moment. Ich konnte nicht schlafen. Das Zimmer war leer und die Lichter der Autos, die sich an meiner Decke spiegelten, lenkten mich ab.
Es war still. Eine lebendige Erinnerung, die für immer blieb.
Schließlich verabschiedeten wir uns von unseren Liebsten, von meiner Kindheit, von meinem Geburtsort.
Aber wir werden uns bald wiedersehen. Ich werde nicht verschwinden.
Ein langer Weg. 24 Stunden mit dem Auto.
Müde, aber dennoch kommen wir endlich in Kosovë an. Die anderen Liebsten warteten schon sehnsüchtig auf uns. Ich traf meine Cousins zum ersten Mal, überwältigt vor Freude. Das Haus dampfte – wir waren so viele, jede Stimme verschmolz mit der nächsten und erzeugte ein Gefühl von Bewegung und Energie.
„A ma mire k'tu a atje?“ – wörtlich übersetzt: „Besser hier oder dort?“ – ist die übliche Frage, die in jedem albanischen Haushalt an Menschen aus der Diaspora gestellt wird. Es ist eine Redewendung, die unter Kosovar*innen häufig zu hören ist, wenn man jemanden aus der Community trifft. Eine knifflige Frage, die oft im Scherz gestellt wird, jedoch mit der Absicht, die Stimmung leicht und spielerisch zu halten.
Ich erlebte Prishtina zum ersten Mal. Es fühlte sich wunderschön schlicht an, mit seinen soliden Betonwohnblöcken, die bescheiden dastanden. Jede Straße und jede Ecke erzählte eine Geschichte. Die Menschen hetzten nicht durch ihre Tage; sie gingen in ihrem eigenen Tempo, nahmen sich Zeit, um mit Nachbarn stehenzubleiben und zu plaudern.
Der September beginnt. Erster Schultag.
Alles faszinierte mich, während ich umherwanderte. Freundschaften zu schließen fiel mir leicht, doch es gab Zeiten, in denen ich mich fehl am Platz fühlte. Warum war das so? Zog ich mich zurück, weil ich mich anders fühlte – stiller, ungewohnt in diesem neuen Rhythmus? Das ständige Brummen des Lärms, die unerschütterliche Energie und die Art, wie die Menschen jeden Raum mit Leben füllten, überforderten mich. Was einst angenehm war, schien jetzt zu viel. Doch mit der Zeit begann ich zu verstehen. Das war der Balkan. Hier ist Chaos nicht nur die Norm, es ist eine Lebensweise. Es treibt die Menschen an, verleiht ihnen Charakter. Nicht alles muss in perfekter Ordnung sein.
In dieser Einfachheit fand ich Ruhe im Chaos.
Jahre sind vergangen, und doch weiß ich immer noch nicht, wo Zuhause ist. Dieses unerbittliche Bedürfnis, immer weiter danach zu suchen. Ich finde mich zwischen Orten gefangen, versuche herauszufinden, wo meine Seele sich vollkommen wohlfühlt.
Ich wusste immer, dass ich Prishtina verlassen musste. Ich hatte nie wirklich das Gefühl, dort dazuzugehören. Es hielt mich zurück, zehrte an meinem Geist und bot mir keinen Raum, in dem ich wirklich wachsen konnte. Also zog ich mich zurück und wurde zu einer Fremden in meiner eigenen Stadt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich ging. Ich hätte nie gedacht, dass sich Zuhause so kalt anfühlen könnte, dass es mich auf diese Weise verletzen könnte. Zuhause sollte ein Ort der Wärme sein, an dem Menschen geschätzt und umsorgt werden. Stattdessen wurde es ein Ort, der mich distanzierte.
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Prishtina und ich, Juli 2021, Palast der Jugend
In der Leere, die zurückblieb, vergaß ich die Schweiz nie. Ich hoffte immer, das zu finden, wonach ich dort suchte.
Nach vielen Jahren kehrte ich für ein Jahr zurück, traf mich mit der Familie und dachte über Erinnerungen nach. Mir wurde klar, dass ich das, was ich einst erlebt hatte, noch einmal erfahren sollte.
„A ma mire k'tu a atje?“ – wörtlich übersetzt: „Besser hier oder dort?“ – ist die übliche Frage, die in jedem albanischen Haushalt an Menschen aus der Diaspora gestellt wird. Es ist eine Redewendung, die unter Kosovar*innen häufig zu hören ist, wenn man jemanden aus der Community trifft. Eine knifflige Frage, die oft im Scherz gestellt wird, jedoch mit der Absicht, die Stimmung leicht und spielerisch zu halten.
Ich erlebte Prishtina zum ersten Mal. Es fühlte sich wunderschön schlicht an, mit seinen soliden Betonwohnblöcken, die bescheiden dastanden. Jede Straße und jede Ecke erzählte eine Geschichte. Die Menschen hetzten nicht durch ihre Tage; sie gingen in ihrem eigenen Tempo, nahmen sich Zeit, um mit Nachbarn stehenzubleiben und zu plaudern.
Der September beginnt. Erster Schultag.
Alles faszinierte mich, während ich umherwanderte. Freundschaften zu schließen fiel mir leicht, doch es gab Zeiten, in denen ich mich fehl am Platz fühlte. Warum war das so? Zog ich mich zurück, weil ich mich anders fühlte – stiller, ungewohnt in diesem neuen Rhythmus? Das ständige Brummen des Lärms, die unerschütterliche Energie und die Art, wie die Menschen jeden Raum mit Leben füllten, überforderten mich. Was einst angenehm war, schien jetzt zu viel. Doch mit der Zeit begann ich zu verstehen. Das war der Balkan. Hier ist Chaos nicht nur die Norm, es ist eine Lebensweise. Es treibt die Menschen an, verleiht ihnen Charakter. Nicht alles muss in perfekter Ordnung sein.
In dieser Einfachheit fand ich Ruhe im Chaos.
Jahre sind vergangen, und doch weiß ich immer noch nicht, wo Zuhause ist. Dieses unerbittliche Bedürfnis, immer weiter danach zu suchen. Ich finde mich zwischen Orten gefangen, versuche herauszufinden, wo meine Seele sich vollkommen wohlfühlt.
Ich wusste immer, dass ich Prishtina verlassen musste. Ich hatte nie wirklich das Gefühl, dort dazuzugehören. Es hielt mich zurück, zehrte an meinem Geist und bot mir keinen Raum, in dem ich wirklich wachsen konnte. Also zog ich mich zurück und wurde zu einer Fremden in meiner eigenen Stadt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich ging. Ich hätte nie gedacht, dass sich Zuhause so kalt anfühlen könnte, dass es mich auf diese Weise verletzen könnte. Zuhause sollte ein Ort der Wärme sein, an dem Menschen geschätzt und umsorgt werden. Stattdessen wurde es ein Ort, der mich distanzierte.
Prishtina und ich, Juli 2021, Palast der Jugend
In der Leere, die zurückblieb, vergaß ich die Schweiz nie. Ich hoffte immer, das zu finden, wonach ich dort suchte.
Nach vielen Jahren kehrte ich für ein Jahr zurück, traf mich mit der Familie und dachte über Erinnerungen nach. Mir wurde klar, dass ich das, was ich einst erlebt hatte, noch einmal erfahren sollte.
Durch die Wiederverbindung mit meiner Vergangenheit fühlte ich Nostalgie und ein tieferes Verständnis für mich selbst. Ich besuchte Orte, die einst so viel Bedeutung hatten: meinen Kindergarten, den Park, in dem ich unzählige Stunden verbrachte, und die Stadt.
Dabei fiel ich wieder in meine alte Routine zurück: Ich ging in den Wald, fuhr mit dem Fahrrad und machte Picknicks am See.
Zurück in St. Gallen – ein Wiedersehen mit meinem Geburtsort, September 2022
St. Gallen, December 2022
Parallel dazu fühlte sich die Arbeit ebenso einladend an. Meine Kolleg*innen schätzten und nahmen mich so an, wie ich war.
Ihre Offenheit machte es mir leicht, mich einzuleben, und ich fühlte mich schnell als Teil des Teams. Mit jedem Tag, der verging, fühlte ich mich mehr zu Hause, ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit wuchs in mir.
Mein Arbeitsplatz befand sich an der Langstrasse, einem Viertel, das als Treffpunkt für Migrant*innen diente.
In den Mittagspausen ginge ich raus, um etwas zu essen. Es war unmöglich, die Aufregung, die dieses Viertel ausstrahlte, nicht zu spüren. Ich hörte Salsa-Musik aus den Latinx-Bars und fühlte mich, als wäre ich irgendwo in Lateinamerika. Als ich weiterging, konnte ich asiatische Gewürze riechen, die mich plötzlich auf die andere Seite der Welt versetzten. Aber nichts begeisterte mich so sehr wie der Moment, in dem ich traditionelle albanische Musik hörte.
Der Weg führte mich zu einem albanischen Café. Ich setzte mich auf einen Kaffee und beobachtete die Gespräche um mich herum.
„Tungjatjeta!“ - begrüßte mich eine alte Frau. Es bedeutet Möge dein Leben verlängert werden. Ist das nicht wunderschön? Ein Wunsch nach Reichtum – nicht im Sinne von Dingen, sondern von Gesundheit, Glück und schönen Momenten. Es ist ein einfacher, herzlicher Wunsch mit viel Bedeutung. Ich lächelte und grüßte sie zurück, ließ die Wärme der Worte in mir wirken.
Ich verließ das Café, doch das Gefühl verblasste nicht. Es blieb bei mir, in der Verbindung, die ich zu Menschen fühlte, die dieselbe Geschichte teilten.
Ich ging weiter und fragte mich, ob Zuhause wirklich nur aus kleinen Momenten wie diesem besteht – solchen, die einen daran erinnern, dass man Teil von etwas ist, auch wenn es nur für eine Sekunde ist.
Es geht nicht nur um einen Ort; es ist das Gefühl, verstanden zu werden, seinen Rhythmus in einer Welt zu finden, die sich ständig verändert. Irgendwo, wo man sich selbst sein kann, ohne den Druck, sich anzupassen. Es sind die stillen Momente, die einen daran erinnern, dass, egal wo man hingeht, immer etwas Vertrautes auf einen wartet, etwas, das einem das Gefühl gibt, dazuzugehören.
So bin ich immer dazwischen: Zuhause ist sowohl hier als auch dort.
Dabei fiel ich wieder in meine alte Routine zurück: Ich ging in den Wald, fuhr mit dem Fahrrad und machte Picknicks am See.


Parallel dazu fühlte sich die Arbeit ebenso einladend an. Meine Kolleg*innen schätzten und nahmen mich so an, wie ich war.
Ihre Offenheit machte es mir leicht, mich einzuleben, und ich fühlte mich schnell als Teil des Teams. Mit jedem Tag, der verging, fühlte ich mich mehr zu Hause, ein tiefes Gefühl der Zugehörigkeit wuchs in mir.
Mein Arbeitsplatz befand sich an der Langstrasse, einem Viertel, das als Treffpunkt für Migrant*innen diente.
In den Mittagspausen ginge ich raus, um etwas zu essen. Es war unmöglich, die Aufregung, die dieses Viertel ausstrahlte, nicht zu spüren. Ich hörte Salsa-Musik aus den Latinx-Bars und fühlte mich, als wäre ich irgendwo in Lateinamerika. Als ich weiterging, konnte ich asiatische Gewürze riechen, die mich plötzlich auf die andere Seite der Welt versetzten. Aber nichts begeisterte mich so sehr wie der Moment, in dem ich traditionelle albanische Musik hörte.
Der Weg führte mich zu einem albanischen Café. Ich setzte mich auf einen Kaffee und beobachtete die Gespräche um mich herum.
„Tungjatjeta!“ - begrüßte mich eine alte Frau. Es bedeutet Möge dein Leben verlängert werden. Ist das nicht wunderschön? Ein Wunsch nach Reichtum – nicht im Sinne von Dingen, sondern von Gesundheit, Glück und schönen Momenten. Es ist ein einfacher, herzlicher Wunsch mit viel Bedeutung. Ich lächelte und grüßte sie zurück, ließ die Wärme der Worte in mir wirken.
Ich verließ das Café, doch das Gefühl verblasste nicht. Es blieb bei mir, in der Verbindung, die ich zu Menschen fühlte, die dieselbe Geschichte teilten.
Ich ging weiter und fragte mich, ob Zuhause wirklich nur aus kleinen Momenten wie diesem besteht – solchen, die einen daran erinnern, dass man Teil von etwas ist, auch wenn es nur für eine Sekunde ist.
Es geht nicht nur um einen Ort; es ist das Gefühl, verstanden zu werden, seinen Rhythmus in einer Welt zu finden, die sich ständig verändert. Irgendwo, wo man sich selbst sein kann, ohne den Druck, sich anzupassen. Es sind die stillen Momente, die einen daran erinnern, dass, egal wo man hingeht, immer etwas Vertrautes auf einen wartet, etwas, das einem das Gefühl gibt, dazuzugehören.
So bin ich immer dazwischen: Zuhause ist sowohl hier als auch dort.